Ausbildungskrise Deutschland: Viele freie Lehrstellen
Es ist kein neues Phänomen, aber es wird immer markanter: Deutschland steckt in einer Ausbildungskrise. Jedes Jahr bleiben zahlreiche Lehrstellen unbesetzt, es finden sich keine Auszubildenden in vielen Bereichen. Dass das dramatische Folgen haben wird, ist absehbar.
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Wie sich das Fehlen der Lehrlinge bemerkbar macht, hat vermutlich fast jeder von uns schon festgestellt: Bereits jetzt haben wir einen Fachkräftemangel in Handwerksberufen in Deutschland zu beklagen. Wer beispielsweise einen Heizungs- oder Sanitärprofi benötigt, ist in vielen Teilen Deutschlands gezwungen, erstmal zu warten. Denn die bestehenden Betriebe haben in der Regel übervolle Auftragsbücher und zu wenig Personal, um zeitnah alles abzuarbeiten. Auch in Einzelhandel und Gastronomie kommt es immer wieder zu verkürzten Öffnungszeiten oder verringertem Angebot, da schlicht und ergreifend die Mitarbeiter fehlen. Ebenso im Erziehungsbereich und im Gesundheitswesen: Oftmals sind zum Beispiel neue Räumlichkeiten für einen Kindergarten oder eine Krippe errichtet worden, doch die Einrichtung kann nicht im geplanten Umfang eröffnen. Der Grund: Mangel an Fachpersonal.
Es fehlen qualifizierte Kräfte in Deutschland, und das wirkt sich bereits jetzt auf unseren Alltag aus.
Mehr Studenten, weniger Azubis
Dass hierzulande immer weniger junge Menschen Interesse an einer Ausbildung haben, ist ein Prozess, der sich bereits seit dem Jahr 2007 so entwickelt. Ab diesem Zeitpunkt sank die Zahl derjenigen, die eine Ausbildung in Deutschland begonnen haben, kontinuierlich. Währenddessen wuchs jedoch die Anzahl der Studienanfänger beständig. Das aktuelle Resultat: Während im Jahr 1992 noch knapp doppelt so viele junge Menschen eine berufliche Ausbildung begonnen haben als ein Studium, liegt seit dem Jahr 2020 die Zahl der Studienanfänger jetzt sogar über der der Jugendlichen, die als Azubis starten. Die Situation hat sich also komplett gedreht.
Immer mehr junge Menschen entscheiden sich mittlerweile für ein Hochschulstudium und gegen eine berufliche Ausbildung.
Dem zugrunde liegt natürlich die Tatsache, dass immer mehr Jugendliche die Hochschulreife absolvieren und damit auch die Befähigung erlangen, ein Studium zu beginnen.
Die jüngste Entwicklung seit 2020 weist jedoch darauf hin, dass der Trend zum Studium sich abgebremst hat bzw. zum Stillstand kommt; das könnte allerdings auch nur ein vorübergehender Effekt der Corona-Pandemie sein. Laut Nationalem Bildungsbericht 2022 hat sich die inländische Studienanfängerquote bei ca. 45 Prozent eingependelt. Das ist durchaus internationaler OECD-Durchschnitt. Einige Arbeitsmarkt-Experten weisen zudem darauf hin, dass uns ein Fachkräftemangel auch in Akademikerberufen bestimmter Fachrichtungen droht, zum Beispiel in den MINT-Fächern. Damit sind die Bereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik gemeint. Also alles halb so schlimm – oder eher doppelt?
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Ausbildungskrise in Deutschland
Wie man es dreht und wendet, eines ist klar: Es fehlen in vielen Ausbildungsberufen Nachwuchskräfte. Aktuell rühren bereits die großen Interessensvertretungen des Handwerks wie beispielsweise die IHK lautstark die Werbetrommel, um Ausbildungsberufe in der Öffentlichkeit attraktiver zu präsentieren. Auch von Seiten der Politik wird versucht, den jungen Leuten die Vorteile einer betrieblichen Ausbildung darzulegen und das Image der beruflichen Bildung zu stärken. So wird ja bereits jetzt der Meister-Abschluss, den man auf viele handwerkliche und technische Berufe draufsatteln kann, als „Bachelor Professional“ bezeichnet. Damit soll deutlich werden, dass er als gleichbedeutend mit einem akademischen Abschluss gesehen werden kann. Die Hoffnung: mehr junge Menschen davon zu überzeugen, statt eines Studiums eine Ausbildung zu beginnen.
Jobs für Handwerker findest du hier.
Wie viele Ausbildungsplätze sind unbesetzt?
Bundesweit ist im Jahr 2022 die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber für eine Ausbildung im Vergleich zum Vorjahr gesunken, und zwar um -2,6 Prozent auf ca. 422.400. Die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen in Deutschland ist jedoch auf 545.960 gestiegen. Das ist ein Zuwachs um 4,4 Prozent (Quelle: vbw-bayern.de). Es klafft also schon rein rechnerisch eine Lücke von über 123.000 – allerdings ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen Angebote und Nachfragen in den einzelnen Branchen.
In welchen Branchen gibt es besonders viele offene Stellen?
Diese Zahlen sagen eben noch nichts über die konkrete Verteilung unbesetzter Ausbildungsplätze in den einzelnen Branchen aus. Denn in einigen Zweigen ist die Situation bereits jetzt kritisch und der Fachkräftemangel sehr hoch.
Mehr als jeder dritte Betrieb mit offenen Ausbildungsplätzen hat tatsächlich keine einzige Bewerbung auf seine Stellenausschreibung erhalten.
Besonders betroffen sind laut Bundesagentur für Arbeit folgende Branchen:
- Handwerk
- Bau
- Handel
- Verkauf
- Lebensmittelbereich
- Gastgewerbe
Dramatisch ist, dass in den meisten dieser Branchen bereits jetzt ein Fachkräftemangel herrscht.
Mögliche Gründe für die Ausbildungskrise in Deutschland
Doch warum entscheiden sich immer mehr Jugendliche gegen eine Ausbildung? Die Gründe hierfür sind sicherlich vielfältig. Einige Aspekte liegen jedoch auf der Hand:
- Das generelle Interesse junger Menschen an einer Berufsausbildung ist gesunken. Jugendliche empfinden bestimmte Ausbildungsberufe als unattraktiv. Das kann an der Bezahlung, den Arbeitsbedingungen und auch dem sozialen Ansehen des Jobs in der Gesellschaft liegen.
- Viele Unternehmen finden auf dem Markt nicht die in ihren Augen ausreichend qualifizierten Bewerber, die sie sich für ihren Ausbildungsplatz wünschen. Das Anforderungsprofil für viele Berufe hat sich im Zuge der Digitalisierung stark verändert. War ein Fachmann für Heizung und Sanitär vor 20 Jahren noch in erster Linie handwerklich tätig, so muss dieser heute auch sehr viel Elektronik- und Steuerungskenntnisse mitbringen. Das stellt andere Anforderungen an die schulische Grundqualifikation der Azubis.
- Die letzten Jahre während der Corona-Krise waren auch für die Jugend nicht leicht. Unter anderem konnten die so wichtigen Berufsorientierungsangebote für Schüler nicht stattfinden. Unter Umständen kann auch diese Tatsache dafür verantwortlich sein, dass sich die Ausbildungskrise in Deutschland verschärft.
Fazit
Die Politik hat erkannt, welch gravierende Auswirkungen ein Fachkräftemangel für die deutsche Wirtschaft haben kann. Doch kurzfristig lässt sich hier wenig gegensteuern. Es ist langfristig einiges zu tun: Das Thema schulische Bildung und Qualifikation muss optimiert werden, aber auch die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in vielen Ausbildungsberufen sollten von Seiten der Wirtschaft hinterfragt werden. Und nicht zuletzt haben heutzutage viele klassische Handwerksberufe ein Imageproblem.
FAQs
Ja. Seit dem Jahr 2007 sinkt in Deutschland die Zahl der Jugendlichen, die eine berufliche Ausbildung machen. Zugleich beginnen immer mehr junge Leute nach dem Schulabschluss zu studieren.
Bestimmte Ausbildungsberufe haben kein gutes Image mehr. Das kann am Gehalt, an den Arbeitsbedingungen und dem sozialen Ansehen des Jobs in der Gesellschaft liegen. Außerdem beklagen Unternehmen, viele Schulabgänger mir Mittelschulabschluss wären inhaltlich nicht gut genug vorbereitet bzw. qualifiziert.
Quellen:
de.statista.com, dihk.de, vbw-bayern.de, zdf.de
Freie Ausbildungsplätze
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Veronika ist Redakteurin und Content-Managerin. Sie hat Kommunikationswissenschaften, Arbeits- und Organisationspsychologie sowie Französische Sprachwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München studiert und ist bereits über 15 Jahre journalistisch in Print und online unterwegs. Für careeasy – Dein Karriere-Magazin von stellenanzeigen.de recherchiert und schreibt Veronika zu Themen rund um Studium & Ausbildung, Karriere, Gesundheit im Job und Arbeitsrecht.