„Das war doch schon immer so“  ist kein Argument für Verhaltensweisen? Doch, durchaus! Und zwar dann, wenn dein Arbeitgeber dir über einen bestimmten Zeitraum regelmäßig immer wieder gewisse Gratifikationen zukommen hat lassen. Denn dann kannst du daraus eventuell eine betriebliche Übung ableiten, die zur Folge hat, dass dein Arbeitgeber dieses Verhalten nicht plötzlich ändern oder abschaffen darf.

Für gewöhnlich sind alle wichtigen Rahmenbedingungen deines Arbeitsverhältnisses in deinem Arbeitsvertrag festgehalten: Arbeitszeit, Gehalt, eventuelle variable Zahlungen, die Regelung von Überstunden, Dienstwagennutzung, Homeoffice, usw. Doch nicht selten schleichen sich über die Jahre in einem Anstellungsverhältnis auch bestimmte Verhaltensweisen von Seiten des Arbeitgebers ein, die gar nirgendwo geschrieben stehen. Trotzdem werden sie zur „guten“ Gewohnheit. Was passiert dann, wenn der Arbeitgeber dieses Verhalten plötzlich ändern will?

Betriebliche Übung
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Beispiel für eine betriebliche Übung

Ein Beispiel:

Kerstin ist seit vier Jahren bei einer mittelständischen Leuchtenfabrik mit über 100 Mitarbeitern beschäftigt. Jedes Jahr erhielt sie bislang mit dem Novembergehalt 100 Euro Weihnachtsgeld ausbezahlt, obwohl davon nichts in ihrem Arbeitsvertrag steht.

Die Ausbezahlung des Weihnachtsgeldes ist in diesem Fall eine Vergünstigung, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in regelmäßiger Wiederholung und gleichmäßiger Verhaltensweise über einen bestimmten Zeitraum hinweg gewährt hat. Der Arbeitnehmer kann aufgrund dieser Umstände davon ausgehen, dass ihm diese Vergünstigung auch zukünftig gewährt wird.

Doch plötzlich soll Schluss sein mit dem Weihnachtsgeld: Kerstin erfährt von ihrer Firma, dass in diesem Jahr nichts ausbezahlt werden soll. Dieses Jahr gibt es keine 100 Euro. Kerstin ärgert sich riesig. Sie hat fest mit dem Geld gerechnet. Lässt sich da irgendwas machen? 

Stellt der Arbeitgeber diese zur Gewohnheit gewordene Verhaltensweise ein, kann der Arbeitnehmer in bestimmten Fällen einen Anspruch auf die Leistung geltend machen. Es ist dann oft auch die Rede vom „Gewohnheitsrecht“.

Kerstins Kollege Patrick meint, er wolle eine betriebliche Übung beim Arbeitgeber geltend machen. Kerstin fragt sich: Was ist das überhaupt?

Definition betriebliche Übung bzw. Betriebsübung:

Sie beschreibt ein bestimmtes freiwilliges Verhalten des Arbeitgebers, das dieser in regelmäßigen Abständen wiederholt und aufgrund dessen der Arbeitnehmer davon ausgehen kann, dass der Arbeitgeber sich auch in Zukunft wieder so verhalten wird. Die Folge: Daraus entsteht durch eine freiwillige Leistung oder Vergünstigung seitens des Arbeitgebers ein Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf die entsprechende Leistung, im Sinne eines Gewohnheitsrechts. Der Arbeitgeber kann diese nicht einseitig verweigern. (Quelle: juraforum.de)

Kerstin und Patrick suchen das Gespräch mit ihrem Arbeitgeber. Denn sie können tatsächlich in diesem Fall auf eine betriebliche Übung pochen. Die Voraussetzung, dass ein entsprechendes Verhalten mindestens dreimal in regelmäßigen Abständen vom Arbeitgeber an den Tag gelegt wurde, trifft zu.

Das Bundesarbeitsgericht wertet in regelmäßiger Wiederholung gewährte, bestimmte Leistungen durch den Arbeitgeber als Vertragsangebot. Dieses nimmt der Arbeitnehmer durch widerspruchlose Inanspruchnahme der Vergünstigung stillschweigend an. Das ist dann eine sogenannte „Annahme ohne Erklärung“ (siehe Bürgerliches Gesetzbuch).

Betriebliche Übung
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Wichtige Voraussetzungen für eine Betriebsübung

Das hört sich für den Arbeitnehmer ja super an, oder? Aber Vorsicht: Nicht jede Handlung deines Arbeitgebers wird automatisch zu einer Betriebsübung, aus der sich ein rechtlicher Anspruch ableiten lässt. Es gibt ein paar wichtige Voraussetzungen, damit solch ein Vorgehen den Tatbestand der betrieblichen Übung erfüllt:

  1. Das Verhalten des Arbeitgebers muss eine Vergünstigung für den Arbeitnehmer darstellen.
  2. Das Verhalten ist nicht im Arbeitsvertrag geregelt.
  3. Rechte aus einer betrieblichen Übung stehen auf der Ebene des Arbeitsvertrags, und nicht auf der Ebene von Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen.
  4. Der Arbeitgeber ist nicht durch irgendeinen anderen Rechtsgrund dazu verpflichtet, diese Leistungen zu gewähren.
  5. Die Leistungen erbringt der Arbeitgeber „vorbehaltlos“, sie sind also nicht an bestimmte Dinge wie aktuelle wirtschaftliche Lage, Umsatzziele o.ä. geknüpft. Man nennt das auch vorbehaltlose Gewährung.
  6. Es muss sich um ein wiederholtes Verhalten handeln, in der Regel um eine Dauer von mindestens drei Wiederholungen in regelmäßigen Abständen.
  7. Der Arbeitgeber hat in Bezug auf diese Leistung nicht einen Freiwilligkeitsvorbehalt formuliert.

Interessant: Auch neu in ein Unternehmen eintretende Arbeitnehmer können unter Umständen Ansprüche aus betrieblicher Übung geltend machen.

Beispiele für Betriebsübungen

Es gibt ganz unterschiedliche Leistungen, die zu betrieblichen Übungen werden können. Voraussetzung dafür ist natürlich immer, dass die Bedingungen für eine Betriebsübung erfüllt sind. Beispiele dafür sind:

  • Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld, Jubiläumszuwendungen, Urlaubsgeld o.ä.
  • Übernahme von Fortbildungskosten
  • Gewährung eines Firmenwagens
  • Gewährung eines Parkplatzes auf dem Firmengelände
  • Essensgeld- oder Fahrtkostenzuschüsse
  • Anwendung bestimmter Tarifverträge zugunsten der Arbeitnehmer
  • Vorgehensweisen bei Krankmeldung
  • Vorgehen bei Anmeldung, Verteilung und Gewährung von Urlaub
  • Ansprüche auf betriebliche Altersvorsorge
Betriebliche Übung
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Wie kann der Arbeitgeber verhindern, dass ein Verhalten zur Betriebsübung wird?

Aber hat der Arbeitgeber gar keine Chance, zu verhindern, dass etwas automatisch zur betrieblichen Übung wird? Doch, er kann sich durchaus absichern. Im Prinzip stehen ihm dabei zwei Möglichkeiten zur Verfügung:

1. Regelmäßigkeit verhindern

Indem der Arbeitgeber darauf achtet, dass die Leistung keinesfalls regelmäßig erbracht wird, kann er die Betriebsübung umgehen. Zahlt er also zum Beispiel im Jahr 2020 100 Euro Weihnachtsgeld aus, im Jahr 2021 80 Euro, im Jahr 2022 gar kein Weihnachtsgeld und 2023 wiederum 100 Euro, lässt sich hier keine Regelmäßigkeit feststellen. Die Voraussetzungen für eine Betriebsübung sind dadurch nicht gegeben.

Achtung: Variiert nur die Summe der Auszahlung, verhindert das nach neuerer Rechtsprechung nicht das Entstehen einer betrieblichen Übung.

2. Der Freiwilligkeitsvorbehalt

Der Arbeitgeber hat explizit erklärt, dass er die Leistung „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ erbringt bzw. dass die Leistungen „keinen Rechtsanspruch für die Zukunft begründen“. Das nennt man dann Freiwilligkeitsvorbehalt.

Fazit

Die betriebliche Übung lässt sich oftmals auf viel mehr Leistungen anwenden, als Arbeitnehmer im ersten Moment glauben. Denn schneller als man denkt können gewährte Leistungen zur Gewohnheit und Regelmäßigkeit werden. Grundsätzlich macht es Sinn, sich von einem Rechtsbeistand beraten zu lassen, wenn man in Erwägung zieht, bei seinem Arbeitgeber eine betriebliche Übung geltend zu machen.

Quellen:
juraforum, haufe.de, hensche.de, betriebsrat.de, rightmart.de

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