Jobsuche nach der Babypause: Dran bleiben
09.03.2010
An die Silvesterparty 2007/2008 erinnert sich Anja Schnittger gut. Schlag Mitternacht hatte die damals 45-Jährige ihrem Mann zugeprostet: "Ein gutes Neues - und auf einen Job im nächsten Jahr." Doch die Hoffnung trog, die Grafikdesignerin aus Augsburg steht noch immer ohne da. Ebenso wie die Juristin aus Lüneburg, die Automobilkauffrau aus Erlangen, die Spanisch-Übersetzerin aus Potsdam und vermutlich noch einige Tausend mehr.
Die statistische Grauzone derjenigen Frauen, die nach langer Pause wieder im Erwerbsleben Fuß fassen wollen, will Katrin Drasch in ihrer Doktorarbeit erhellen. "Es ist schwierig", sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für angewandte Arbeitsmarktforschung in Nürnberg (iab), "die stille Reserve potentieller Arbeitnehmerinnen in Zahlen zu erfassen." Einfacher, aber auch bedrückender, lässt sich eine andere Feststellung treffen: Für Hausfrauen mit einer langjährigen Berufsunterbrechung, oft schon zwischen Mitte 40 und Anfang 50, ist der Rückweg in den Arbeitsmarkt ganz besonders dornig. Nicht nur, dass die der Familie spendierten Jahre den meisten Arbeitgebern nichts bedeuten - sie entwerten sogar noch die frühere Ausbildung und Berufserfahrung.
Bis zur ersten Babypause haben Männer und Frauen die gleichen Jobchancen. Danach verschlechtern sich die Aussichten der Frauen. Zum einen verdienen sie weniger als Männer und als kinderlose Frauen. In einer Studie des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellt Christina Boll nüchtern fest: "Entgangene Lohneinkommen sind ein Teil des Kinderpreises, den Frauen zahlen, wenn sie befristet aus dem Erwerbsleben aussteigen." In Westdeutschland liegt der Bruttolohn für Mütter mit zwei Kindern um rund ein Drittel niedriger als bei Frauen ohne Kinder. Zum anderen leidet das berufliche Prestige infolge der Geburt eines Kindes. Zumindest für Westdeutschland hat das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) erhebliche Nachteile gegenüber kinderlosen Frauen festgestellt. Unter den ohnehin wenigen Frauen in Führungspositionen sind Mütter in der Minderzahl.
Bei keiner anderen Bevölkerungsgruppe sackt die Bildungsrendite so rasant in den Keller wie bei Hochschulabsolventinnen, die nach Jahren der Familienarbeit auf ihr Diplom, ihr Staatsexamen oder ihren Magister vertrauen. Hochqualifizierte Frauen zwischen 45 und 55 gehören gleich zwei Risikogruppen an. "Sie haben es nach einem längeren Familieneinsatz doppelt schwer, eine neue qualifizierte Stelle zu finden", weiß Ute Leber, Volkswirtin und Kollegin von Katrin Drasch beim iab in Nürnberg: "Zum einen gehören sie zur ohnehin benachteiligten Zielgruppe der älteren Arbeitnehmer, zum anderen weisen sie eine Lücke in ihrer Erwerbsbiographie auf."
"Nach etwa fünf Jahren Abwesenheit vom Job ist das in einem Studium erlernte Wissen überholt", denkt sich der Berliner Soziologe Stefan Stuth in den Kopf vieler Personaler hinein. Während das Alter nach dem Gleichstellungsgesetz nicht für eine Absage herhalten darf, gilt die Berufsunterbrechung als anerkannter K.o.-Faktor. "Als ich nach sechs Jahren wieder bei Agenturen vorstellig wurde, haben die sofort darauf hingewiesen, dass ich aus der Praxis heraus bin", erinnert sich Anja Schnittger. Technisch hatte sich die frühere Art Direktorin auf eigene Kosten fortgebildet. Dennoch wollte ihr niemand eine Führungsposition anvertrauen. Schnittger argwöhnt: "Das waren eher die Jahre, die ich raus war."
Der Frankfurter Personalberater Mark Strasser, ein gelernter Psychologe, hält das für nicht unwahrscheinlich. "Gewiss mindert eine lange Berufsunterbrechung den Wert eines Kandidaten oder einer Kandidatin für den Arbeitgeber", sagt er, aber gerade weil es sich um eine allseits akzeptierte Begründung handele, mache sie es den Personalern leicht. "Letztendlich steht fehlendes Vertrauen hinter einer Absage", glaubt Strasser, "denn trotz aller Beteuerungen kann sich der Personaler nicht sicher sein, dass sich die Bewerberin tatsächlich fachlich auf dem Laufenden gehalten hat, dass die Kinder betreut oder bereits selbstständig sind, dass sie so flexibel ist, wie sie behauptet, und dass sie sich in dem Maße in die Arbeit einbringt, wie er das von jemandem vermutet, den er selbst oder ein anderer Arbeitgeber kontinuierlich entwickelt hat."
Unausgesprochen hinzu käme bei den Arbeitgebern die Furcht vor dem Ressentiment der Kollegen. "Wenn ich eine gestandene Frau mit der Berufspraxis eines Neulings in ein funktionierendes Team setze, eröffne ich ein potenzielles Konfliktfeld", erläutert Strasser, "jede Führungskraft strebt nach Harmonie im Team, weil Konflikte zu Minderleistungen führen." Und schließlich sei da noch das streng betriebswirtschaftliche Kostenargument, gerade in der aktuellen Krise: "Wenn schon viele Firmen kein Geld ausgeben wollen für eine jüngere Führungskraft mit durchgehender Berufstätigkeit - warum sollten sie dann eine Frau nehmen, die 10 oder 15 Jahre aus dem Beruf heraus ist? Es klingt hart, aber die Rückkehrinnen sollten sich bewusst sein, dass sie nach so vielen Jahren nicht entsprechend ihres früheren Status‘ eingesetzt werden."
Vorbeugen lässt sich diesem Schicksal nur mit einer raschen Rückkehr in den Beruf, und sei es in Teilzeit, sowie mit kontinuierlicher Weiterqualifizierung. "Wiedereinsteigerinnen sollten sie ihre Qualifikation unbedingt auffrischen", rät Ute Leber vom iab in Nürnberg. Neben Rückkehrerinnenkursen von der Arbeitsagentur und anderen Einrichtungen würden für fast alle Berufe Lehrgänge, Fachkurse und Seminare angeboten.
Ein zweischneidiges Schwert allerdings ist der Hinweis auf die in der Familie geleistete Arbeit und die dabei hinzugewonnenen Kompetenzen. Denn nicht jeder Arbeitgeber sieht in der Familienarbeit einen Beleg für Organisationstalent, Stressresistenz und Multitasking-Fähigkeiten. Personalberater Strasser "Viele Frauen denken, weil sie in den letzten Jahren mindestens genauso viel geleistet hätten wie andere, könnten sie direkt in ihren früheren Job zurück. Die Personaler sehen das ein Stück weit anders."
Nach vielen erfolglosen Bewerbungen hat Anja Schnittger das auch verstanden. Die Grafikdesignerin arbeitet jetzt freiberuflich in einer virtuellen Bürogemeinschaft. Und stößt zum kommenden Jahreswechsel statt auf einen Arbeitgeber auf neue Kunden an.
Christine Demmer