Vorbehalte bei übertariflichen Zulagen
05.07.2006
§§ 307, 308 Nr. 4 BGB, § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG
Wird in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Zulage unter dem Vorbehalt der Anrechnung gewährt, ohne dass die Anrechnungsgründe näher bestimmt sind, führt dies nicht zur Unwirksamkeit nach § 308 Nr. 4 BGB. Eine solche Klausel verstößt auch nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
BAG, Urteil vom 1. März 2006 ? 5 AZR 363/05
Problempunkt
Der Mitarbeiter erhielt lt. Arbeitsvertrag eine ?freiwillige, jederzeit widerrufliche und anrechenbare betriebliche Ausgleichszulage?. Auf diese rechnete der Arbeitgeber die zum 1.5.2005 wirksame Tariferhöhung an. Dagegen wandte sich der Mitarbeiter mit seiner Klage.
In der Tat wirft die verwendete Klausel individualrechtlich im Wesentlichen zwei Fragen auf:
1. Ist der kombinierte Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt rechtswirksam oder wegen ?Widersprüchlichkeit? gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam (so etwa LAG Hamm, Urt. v. 27.7.2005, AuA 4/06, S. 240, mit Kommentar Stück)?
2. Ist der Anrechnungs- ? wie der Widerrufsvorbehalt ? ein Änderungsvorbehalt im Sinne von § 308 Nr. 4 BGB mit der Folge, dass gemäß dem Senatsurteil vom 12.1.2005 (AuA 3/05, S. 179, mit Kommentar Hunold) die Klausel ohne Angabe von Anrechnungsgründen unwirksam ist?
Entscheidung
Die Klausel regelt zwei Sachverhalte. Die Zulage soll widerruflich und anrechenbar sein.
Die Regelung einer ?freiwilligen, jederzeit widerruflichen Zulage? beinhaltet die Vereinbarung einer Leistung, zu der der Arbeitgeber weder gesetzlich noch tarifvertraglich oder betriebsverfassungsrechtlich verpflichtet ist. Erst mit der Zusage der Leistung wird ein individualrechtlicher Anspruch begründet. Der Hinweis auf die Freiwilligkeit der Leistung steht dem nicht entgegen. Damit drückt der Arbeitgeber lediglich aus, nicht aus anderen Gründen zu der Leistung verpflichtet zu sein. Will er jeden Anspruch für die Zukunft ausschließen, hat er dies deutlich zu machen.
Sodann setzt sich der Senat mit den unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen von Widerrufs- und Änderungsvorbehalten auseinander. Während der Widerruf der Zulage zu einer Kürzung des Effektiventgelts des Mitarbeiters führt und der entsprechende Vorbehalt einen Änderungsvorbehalt im Sinne von § 308 Nr. 4 BGB darstellt, verhält es sich beim Anrechnungsvorbehalt anders. Dieser gibt dem Arbeitgeber das Recht, die Zulage bei einer Erhöhung des Tarifentgelts zu kürzen. Eine Anrechnung erfolgt maximal im Umfang der Anhebung der tariflichen Vergütung. Deshalb führt die Anrechnung nicht zu einer Änderung des Effektiventgelts. Es verschiebt sich nur das Verhältnis der tariflichen zu den übertariflichen Entgeltbestandteilen. Daher ist § 308 Nr. 4 BGB nicht anwendbar.
Anwendbar auf die Anrechnungsklausel ist jedoch § 307 BGB: Der Mitarbeiter konnte auf Grund des Vorbehalts erkennen, dass die Zulage nicht ohne Kürzungsmöglichkeit gewährt wird. Die Anrechnungsklausel verstößt nicht gegen das Transparenzgebot. Die Formulierung ?... anrechenbare betriebliche Ausgleichszulage? ist hinreichend klar und verständlich. Für einen durchschnittlichen Arbeitnehmer ist erkennbar, dass im Falle einer Erhöhung des tariflich geschuldeten Arbeitsentgelts die Zulage bis zur Höhe der Tarifsteigerung gekürzt werden kann.
Die Klausel ist dem Mitarbeiter auch zumutbar. Selbst wenn mit der Zulage besonders Leistungen des Mitarbeiters vergütet worden wären, führte dies nicht zur Unwirksamkeit des Anrechnungsvorbehalts.
Konsequenzen
Das Attribut ?freiwillig? im Zusammenhang mit einer übertariflichen Entgeltleistung verhindert als solches nicht, dass der Mitarbeiter einen Rechtsanspruch erwirbt. Will der Arbeitgeber das verhindern, muss er zusätzlich im Vertrag mit dem Arbeitnehmer vereinbaren, dass ?ein Rechtsanspruch nicht begründet? werden soll. In der Betriebspraxis spielt das bei Einmalzahlungen eine Rolle. Würde hier zusätzlich auch noch die Widerruflichkeit der Leistung vereinbart, wäre das unsinnig; denn wenn ohnehin kein Rechtsanspruch besteht, gibt es nichts zu widerrufen. Das mag man dann als Verstoß gegen das Transparenzgebot werten.
Ganz anders verhält es sich bei übertariflichen Zulagen, die als Bestandteil des laufenden Arbeitsentgelts gezahlt werden. Hier will der Arbeitgeber selbstverständlich einen Rechtsanspruch des Mitarbeiters begründen. Durch den Zusatz ?freiwillige? bringt er zum Ausdruck, dass Anspruchsgrundlage alleine der Individualarbeitsvertrag ist. Zugleich möchte sich der Arbeitgeber die Zulage als ?Manövriermasse? für ?Notfälle? sichern. Deshalb behält er sich Widerruf (und Anrechnung) der Zulage vor. Das ist für den Mitarbeiter nachvollziehbar und begründet keinen Verstoß gegen das Transparenzgebot.
Anders als beim Widerrufs- ist es beim Anrechnungsvorbehalt nicht Wirksamkeitsvoraussetzung, dass Anrechnungsgründe näher bestimmt sind. Dem Mitarbeiter verbleibt das bisherige Effektiventgelt; es ändert sich lediglich dessen Zusammensetzung. Außerdem besteht ggf. ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates, so dass insgesamt Interessen des Mitarbeiters ausreichend geschützt sind.
Praxistipp
Nach § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB liegen Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht vor, wenn die Vertragsbedingungen ?im Einzelnen ausgehandelt? sind. ?Ausgehandelt? ist eine Vertragsbedingung nur, wenn der Verwender (Arbeitgeber) die betreffende Klausel inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen. Das setzt voraus, dass sich der Verwender deutlich und ernsthaft zu gewünschten Änderungen der zu treffenden Vereinbarung bereit erklärt.
Wenn es im Einzelfall tatsächlich so läuft (Beispielsfall: LAG Köln, Urt. v. 20.1.2006, SPA 13/2006, S. 1), sollte das dokumentiert werden, z.B. im Vertrag selbst oder in dem Begleitschreiben.
In der Praxis ist es fast allgemein üblich, übertarifliche Zulagen im Vertrag als ?freiwillig? und ?widerruflich? zu bezeichnen. Nach dem vorliegenden Urteil des 5. Senats bestehen keine Bedenken, diese oder eine ähnliche Formulierung (s. #Muster#) weiter zu verwenden.
Muster
Sie erhalten monatlich folgende Vergütung:
a) Tarifgehalt/Grundgehalt: ...
b) folgende übertarifliche Leistungen: ...
Den Widerruf der zu b) genannten Vergütungsbestandteile bei Vorliegen eines sachlichen Grundes mit einer Frist von einem Monat behalten wir uns ausdrücklich vor. Als sachliche Gründe kommen beispielsweise in Betracht:
· wirtschaftliche Schwierigkeiten des Unternehmens
· trotz Abmahnung unzureichende Leistungen
Ihr Tarifgehalt/Grundgehalt bleibt unangetastet. Außerdem darf der Widerruf maximal 30% Ihrer Gesamtvergütung umfassen.
Zudem behalten wir uns die Anrechnung von Tariferhöhungen auf die übertariflichen Zulagen vor.
Dr. Wolf Hunold, Neuss
Quelle: www.arbeit-und-arbeitsrecht.de