Diebstahl geringwertiger Sachen
03.08.2004
§ 626 BGB
1. Die rechtswidrige und vorsätzliche Verletzung des Eigentums oder Vermögens des Arbeitgebers ist stets, auch wenn die Sachen nur geringen Wert besitzen, als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung an sich geeignet.
2. Erst die Würdigung, ob dem Arbeitgeber deshalb die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist bzw. der vertragsgemäßen Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar ist, kann zu der Feststellung der Nichtberechtigung der außerordentlichen Kündigung führen.
3. Ein Arbeitnehmer in einem Warenhausbetrieb muss normalerweise davon ausgehen, dass er mit einem Diebstahl oder einer Unterschlagung auch geringwertiger Sachen im Betrieb seines Arbeitgebers seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt. Eine Abmahnung ist bei einem derartigen Fehlverhalten regelmäßig nicht erforderlich.
BAG, Urteil vom 11. Dezember 2003 ? 2 AZR 36/03
Problempunkt
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung durch die Arbeitgeberin (Beklagte) und den Weiterbeschäftigungsantrag der Klägerin.
Die Klägerin ist als Verkäuferin bei der Beklagten beschäftigt. Am 11.1.2001 war sie in dem ihr zugewiesenen Bereich, der Spirituosenabteilung, mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Noch vor der Ladenöffnungszeit brachte die Klägerin eine Tragetasche gefüllt mit 62 Minifläschchen diverser hochprozentiger Alkoholika und zwei Rollen Küchenkrepp in die Telefonzentrale der Beklagten und deponierte sie dort. Dabei handelte es sich um abgeschriebene Waren. Eine in der Telefonzentrale beschäftigte Mitarbeiterin informierte die für diesen Bereich zuständige Teamleiterin. Diese, sowie der Abteilungsleiter und der Betriebsratsvorsitzende untersuchten die Tragetasche und warteten ab, was die Klägerin damit vorhatte. Als die Klägerin nach Schichtende den Betrieb mit der Tragetasche verlassen wollte, wurde sie mit dem Vorwurf des Diebstahls konfrontiert. Sie verteidigte sich mit der Behauptung, dass es sich um unverkäufliche Ware handle.
Mit Zustimmung des Betriebsrats kündigte die Beklagte der Klägerin am 12.1.2001 fristlos.
Die Klägerin hat beantragt festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten weder fristlos noch ordentlich aufgelöst worden ist.
Entscheidung
Das ArbG hat die Klage abgewiesen, das LAG hat der Klage stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat das BAG das LAG-Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Das LAG ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass vollendete oder auch nur versuchte Eigentums- oder Vermögensdelikte zum Nachteil des Arbeitgebers grundsätzlich geeignet sind, eine außerordentliche Kündigung zu stützen; solche Delikte stellen an sich einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Der Arbeitnehmer bricht durch die Eigentumsverletzung unabhängig vom Wert des Schadens in erheblicher Weise das Vertrauen des Arbeitgebers (BAG v. 12.8.1999 ? 2 AZR 923/98).
Dies gilt auch für den Diebstahl bzw. die Unterschlagung geringwertiger Sachen. Die rechtswidrige und vorsätzliche Verletzung des Eigentums oder Vermögens des Arbeitgebers ist stets, auch wenn die Sachen nur geringen Wert besitzen, als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung an sich geeignet (Prüfung auf der ersten Stufe des § 626 Abs. 1 BGB).
Erst die Würdigung, ob dem Arbeitgeber deshalb die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist bzw. der vertragsgemäßen Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar ist (Prüfung auf zweiter Stufe des § 626 Abs. 1 BGB), kann zur Feststellung der Nichtberechtigung der außerordentlichen Kündigung führen.
Nach der ständigen Senatsrechtsprechung ist bei schweren Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers eine Abmahnung nur dann erforderlich, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Vorgehen werde nicht als erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Verhalten angesehen (BAG v. 21.6.2001 ? 2 AZR 325/00). Ein Arbeitnehmer in einem Warenhausbetrieb muss normalerweise davon ausgehen, dass er mit einem Diebstahl oder einer Unterschlagung auch geringwertiger Sachen im Betrieb seines Arbeitgebers seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt. Es hätte deshalb einer eingehenden Begründung bedurft, weshalb im vorliegenden Fall nach den Gesamtumständen eine Abmahnung zur Ahndung des erheblichen Fehlverhaltens der Klägerin als ausreichend anzusehen ist.
Sollte das LAG erneut zu dem Ergebnis gelangen, dass kein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vorlag, wird zu prüfen sein, ob diese in eine ordentliche Kündigung umzudeuten ist und ein verhaltensbedingter Grund zur ordentlichen Kündigung i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG vorlag. Wenn ein Diebstahl(sversuch) schon stets geeignet ist, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen, so kommt er erst recht als verhaltensbedingter Kündigungsgrund i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG in Betracht.
Konsequenzen
Arbeitnehmer eines Warenhauses müssen auch in Zukunft damit rechnen, dass sie ihren Arbeitsplatz aufs Spiel setzen, wenn sie ? ohne ihren Vorgesetzten zu fragen ? (auch abgeschriebene) Waren aus dem Betrieb des Arbeitgebers entfernen. Dabei ist für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes nach § 626 BGB die strafrechtliche Würdigung des Handelns (z.B. Diebstahl oder Unterschlagung) nicht maßgeblich. Auch eine etwaige Geringwertigkeit der Waren ist unerheblich. Entscheidend ist, dass durch die heimliche Wegnahme der Sachen, d.h. ohne vorherige Einholung des Einverständnisses des Vorgesetzten oder Arbeitgebers, das Vertrauen des Arbeitgebers in erheblichem Maße zerstört ist. Wenn aber das Vertrauensverhältnis zerstört ist, dann ist eine Abmahnung ? als milderes Mittel ? erst recht keine ausreichende Reaktion.
Praxistipp
Bei Diebstahl bzw. Unterschlagung auch geringwertiger Gegenstände aus dem Eigentum des Arbeitgebers hat dieser grundsätzlich einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung. Eine vorherige Abmahnung ist nicht erforderlich. Erst die Würdigung, ob dem Arbeitgeber aus dem wichtigen Grund die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist (bzw. der vertragsgemäßen Beendigung des Arbeitsverhältnisses) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar ist, kann zur Feststellung der Nichtberechtigung der außerordentlichen Kündigung führen.
Um auf der sicheren Seite zu sein, sollte der Arbeitgeber hilfsweise auch eine ordentliche Kündigung aussprechen. Stimmt der Betriebsrat selbst der außerordentlichen Kündigung zu, so ist regelmäßig auch die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung darin enthalten (Erst-recht-Schluss). Sollte das Gericht im Rahmen der Interessenabwägung zur Auffassung gelangen, es sei nicht unzumutbar, die Kündigungsfrist abzuwarten, so erfolgt nach BAG eine Umdeutung gemäß § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung.
Dr. Rainer Sieg, Kirchheim bei München
Quelle: www.arbeit-und-arbeitsrecht.de