Treuwidrige Kündigung im Kleinbetrieb
07.05.2004
§ 242 BGB
Wegen der abschließenden Regelung des Kündigungsschutzgesetzes, verstößt eine Kündigung regelmäßig nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind. Hierfür ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig.
BAG, Urteil vom 28. August 2003 ? 2 AZR 333/02
Problempunkt
Der 54 Jahre alte Kläger ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Seit 1976 ist er bei der Beklagten tätig, die ein zahntechnisches Labor betreibt und im Zeitpunkt der Kündigung nur eine weitere Arbeitnehmerin beschäftigte. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 31.10.2001, ohne hierfür Gründe im Kündigungsschreiben vom 27.3.2001 anzuführen. Der Kläger ist der Ansicht, wegen seiner langen Beschäftigungszeit müsse das Kündigungsschutzgesetz für ihn gelten. Jedenfalls sei die Kündigung treuwidrig (§ 242 BGB). Im Übrigen lägen weder verhaltensbedingte Gründe vor noch sei er jemals abgemahnt worden. Die Beklagte begründet ihre Kündigung im Wesentlichen damit, dass die Leistungen des Klägers ab dem Jahre 2000 nachgelassen hätten. Es sei wiederholt zu Reklamationen von Zahnärzten gekommen. Der Kläger sei mehrfach darauf hingewiesen worden, er könne nur weiterbeschäftigt werden, wenn er künftig sorgfältiger arbeite und sich fortbilde. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Entscheidung
Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung ist nicht bereits deshalb unwirksam, weil dem Kläger im Schreiben vom 21.3.2001 keine Kündigungsgründe mitgeteilt worden sind, da es sich insoweit gerade nicht um eine Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung handelt. Sie ist im Übrigen nicht sozialwidrig i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG. Das KSchG ist nicht anwendbar, da die Beklagte nicht mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt (§ 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG a.F.). Die Annahme des Klägers, seine lange Beschäftigungsdauer müsse zur unmittelbaren Anwendung des KSchG führen, findet keine Stütze im Gesetz.
Die Kündigung verstößt darüber hinaus nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB. Die gebotene Berücksichtigung des durch langjährige Beschäftigung entstandenen Vertrauens erfordert, dass der Grund für Kündigungen gegenüber langjährigen Beschäftigten einleuchten muss. Es kann nach Ansicht des 2. Senats deshalb als treuwidrig zu werten sein, wenn der Arbeitgeber die Kündigung auf auch im Kleinbetrieb eindeutig nicht ins Gewicht fallende einmalige Fehler eines seit Jahrzehnten beanstandungsfrei beschäftigten Arbeitnehmers stützt. Allerdings führt selbst eine lange Betriebszugehörigkeit als solche nicht zur Anwendung der nach dem KSchG geltenden Maßstäbe. Soweit im Schrifttum (vgl. Kittner/Däubler/Zwanziger, KSchR, 5. Aufl. 2001, § 242 BGB, Rdnr. 36) davon ausgegangen wird, nach etwa drei oder fünf Jahren hätten sich die Vertragspartner im Kleinbetrieb stillschweigend auf die Anwendung der Bewertungsmaßstäbe des KSchG geeinigt, vermag dies nicht zu überzeugen. Denn auch ein stillschweigender Vertragsschluss setzt Angebot und Annahme voraus. Bloßes Schweigen ist regelmäßig keine Willenserklärung, vor allem dann nicht, wenn dies eine Verschlechterung der Rechtsposition eines Vertragspartners, hier des Arbeitgebers, bedeutet. Des Weiteren kann nach Ansicht des BAG dahinstehen, ob sich ein evidenter Auswahlfehler daraus ergibt, dass die Beklagte dem Kläger und nicht seiner erst seit 10 Jahren beschäftigten 40jährigen Kollegin gekündigt hat, da der Kläger den ihm obliegenden Beweis für die Treuwidrigkeit der Kündigung nicht geführt hat. Die Beklagte hat vielmehr das Arbeitsverhältnis nicht ohne einen irgendwie einleuchtenden Grund, sondern deshalb gekündigt, weil das Leistungsverhalten des Klägers ihr hierzu Anlass gab. Die wiederholten Beschwerden über die Leistung des Klägers und seine seit dem Jahr 2000 aufgetretenen Fehlleistungen fallen auch bei Berücksichtigung der langjährigen Beschäftigung ins Gewicht.
Ebensowenig lässt sich ein Verstoß gegen Treu und Glauben daraus ableiten, dass der Kündigung keine Abmahnung vorausging. Nur ausnahmsweise kann nach Treu und Glauben eine vorherige vergebliche Abmahnung außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG auch dann geboten sein, wenn sich der Arbeitgeber andernfalls mit der Kündigung in Widerspruch zu seinem bisherigen Verhalten setzt. Daran fehlt es hier. Das Leistungsverhalten des Kläger hatte bereits seit längerem Anlass zu Gesprächen gegeben. Die Vorwürfe sowie die Kündigung waren für den Kläger daher nicht neu, sondern der Abschluss einer seit Monaten fortschreitenden Entwicklung.
Konsequenzen
Die Vorschrift des § 242 BGB ist auf Kündigungen neben § 1 KSchG nur in beschränktem Umfang anwendbar. Das KSchG hat die Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben gem. § 242 BGB konkretisiert und abschließend geregelt, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes geht. Eine Kündigung verstößt deshalb regelmäßig nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind. Es geht vor allem darum, Arbeitnehmer vor einer willkürlichen, sachfremden oder diskriminierenden Ausübung des Kündigungsrechts zu schützen. Dabei muss auch ein durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses berücksichtigt werden (vgl. BAG, Urt. v. 21.2.2001 ? 2 AZR 15/00, AuA 2001, S. 181).
Allerdings vermag der auf konkreten Umständen beruhende Vertrauensverlust gegenüber dem Arbeitnehmer eine ordentliche Kündigung im Kleinbetrieb auch dann zu rechtfertigen, wenn die Umstände, auf denen der Vertrauensverlust beruht, objektiv nicht zu verifizieren sind, also ein irgendwie einleuchtender Grund für die Rechtsausübung vorliegt (vgl. BAG, Urt. v. 25.4.2001 ? 5 AZR 360/99, AuA 2002, S. 139).
PRAXISTIPP
Der Kündigungsschutz im Kleinbetrieb wird durch die erfolgte Lockerung der sog. Kleinbetriebsklausel in § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG zunehmend an Bedeutung gewinnen, da das KSchG in Betrieben mit 10 oder weniger Arbeitnehmern nicht mehr für Neueinstellungen seit dem 1.1.2004 gilt. Allerdings zeigt der vorliegende Fall, dass auch im Kleinbetrieb eine Kündigung vernünftig vorbereitet werden sollte, um den Anschein einer willkürlichen, sachfremden oder diskriminierenden Ausübung des Kündigungsrechts zu vermeiden. Zwar liegt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen derjenigen Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit ergibt, zunächst beim Arbeitnehmer. Er hat im Prozess einen Sachverhalt vorzutragen, aus dem sich ein Verstoß gegen Treu und Glauben gem. § 242 BGB ergibt. Dies ist z.B. der Fall, wenn bei einer Kündigung auf den ersten Blick ein schwerer Auswahlfehler erkennbar ist (vgl. BAG, Urt. v. 21.2.2001 ? 2 AZR 15/00, a.a.O.). Allerdings muss sich der Arbeitgeber nach § 138 Abs. 2 ZPO qualifiziert auf den Vortrag des Arbeitnehmers einlassen (können), um ihn zu entkräften. Kommt er dem nicht nach, gilt der schlüssige Vortrag des Beschäftigten als zugestanden mit der Folge, dass der Arbeitgeber den Prozess verliert. Insoweit ist die prozessuale Situation des Arbeitgebers bei Kündigungen im Kleinbetrieb zwar denkbar gut, erfordert aber dennoch einen sachgerechten Tatsachenvortrag, ggf. nach vorheriger rechtlicher Beratung. Dies gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die Rechtsprechung angesichts der erfolgten Lockerung des KSchG die Anforderungen an die Treuwidrigkeit einer Kündigung künftig weniger streng handhaben könnte.
Richter und Lehrbeauftragter
Dr. Michael E. Reichel, Schwerin
Quelle: www.arbeit-und-arbeitsrecht.de