Glühende Eisen und edle Rösser: Beruf des Hufschmieds boomt
18.05.2004
Münster (dpa) - Baukrise und schwache Zahlungsmoral, Konjunkturdelle und Nachwuchsmangel: Das Handwerk in Deutschland hat in vielen Branchen schon lange seinen sprichwörtlichen «goldenen Boden» unter den Füßen verloren. Frohgemute Töne kommen ausgerechnet aus einer Handwerksrichtung, die vor wenigen Jahren noch als nahezu ausgestorben galt und in der Handwerksrolle gar nicht mehr eigenständig auftaucht: Der Beruf des Hufschmieds boomt in Deutschland. «Wir machen drei Lehrgänge jedes Jahr, die sind alle voll», sagt Siegfried Wissing von der Bezirksregierung Münster. Er führt die staatliche Aufsicht über die Ausbildung der Hufschmiede in zwei von bundesweit acht Lehrschmieden.
Die Funken sprühen, wenn der angehende Hufschmied Mark Seitz mit einem Hammer auf das 1.300 Grad heiße, glühende Eisen schlägt. Es ist eine Spezialanfertigung für Romanov. Der Warmblut-Wallach gilt als Dressurpferd der Spitzenklasse, hat schon mehrere S-Prüfungen gewonnen. Seitz verpasst ihm unter Aufsicht seines Meisters Bernhard Niehoff «neue Schuhe» wie die Schmiede sagen. «Hier im Münsterland lernt man mehr als anderswo. So viel Pferdematerial bekommt man sonst nirgends vorgesetzt», sagt Niehoff.
277.000 Pferde stehen nach Angaben der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (Warendorf) in den Ställen Nordrhein-Westfalens ? Tendenz steigend. Eine Viehzählung aller offiziell gemeldeten Tiere der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen ergab einen Bestand von 100.000 Tieren - etwa jedes vierte davon im Münsterland. Darunter sind Gewinner zahlreicher Goldmedaillen bei internationalen Turnieren, Welt- und Europameisterschaften sowie Olympischen Spielen. 50 Prozent aller neu ausgebildeten Hufschmiede Deutschlands haben ihren Beruf in Münster erlernt. Insgesamt arbeiten derzeit bundesweit zwischen 4.000 und 5.000 Männer und Frauen in diesem Beruf.
Nicht zuletzt wegen des optimalen vierbeinigen Anschauungsmaterials nimmt auch Mark Seitz die 750 Kilometer Anreise aus dem bayerischen Landshut für seine viermonatige Ausbildung zum Hufschmied in Kauf. Sein Kollege Shawn Finley kommt sogar aus dem texanischen El Paso in die Schmiede von Bernhard Niehoff - mit 20 Mitarbeitern der größte Betrieb dieser Art in Europa. Während des Lehrgangs bekommt er dort von Tierärzten beigebracht, wie man Krankheiten am Huf feststellt und wie der Schmied orthopädische Fehlstellungen mit Hilfe geschickt angefertigter Eisen ausgleichen kann. Reitlehrer sagen ihm, was aus Sicht der Reiter für den Hufbeschlag wichtig ist. Braucht das Pferd überhaupt Beschläge? «Nur, wenn der Abrieb größer ist als das Wachstum des Horns», lautet die Antwort des Experten. Erst wenn die Theorie sitzt, geht es mit Hammer und Nägeln ans Pferd.
«Für die Tiere braucht man ein Faible», sagt Bernhard Niehoff, der die 100 Jahre alte Schmiede von seinem Schwiegervater übernommen hat. Mitten im Zentrum der 280.000-Einwohner-Stadt stehen die wertvollen Vierbeiner auf einem Hinterhof und halten still, obwohl ihnen gerade glühend heiße Eisen einen Teil ihres Hufes wegbrennen. «An den Augen, am Spiel der Ohren, an den Adern, die am Hals heraustreten erkennt man, ob ein Pferd nervös wird», sagt er. Voraussetzung für die Teilnahme an dem Lehrgang in der Lehrschmiede ist ferner eine abgeschlossene Berufsausbildung und mindestens ein Jahr Praktikum bei einem staatlich anerkannten Hufschmied.
«Häufig sind es Kraftfahrzeugmechaniker», sagt Siegfried Wissing von der Bezirksregierung über die berufliche Vergangenheit der angehenden Hufschmiede. Aber auch aus allen möglichen anderen Berufen kommen die Bewerber. Die meisten wollen sich nach der Ausbildung selbstständig machen und nach guter Väter Sitte mit der mobilen Werkstatt von Pferdestall zu Pferdestall fahren. Die Klientel ist in der Regel zahlungskräftig und pflegeleicht. «Pferdebesitzer geben in der Regel für ihre Tiere das Letzte», sagt Niehoff. «Wenn sie ihr Handwerk ordentlich machen, können sie gutes Geld verdienen», ermuntert er den Nachwuchs. Neben guter Arbeit braucht der Hufschmied aber auch ein breites Kreuz - vor allem, wenn Romanov und Co. die Ohren anlegen.
Quelle: www.arbeit-und-arbeitsrecht.de