Bei Gehaltserhöhung gleichbehandeln?
02.04.2003
§§ 242, 613a BGB
Es besteht kein Anspruch auf Gleichbehandlung bei einer Gehaltserhöhung für AT-Angestellte, wenn der Arbeitgeber nur einzelne Arbeitnehmer besser stellt.
BAG, Urteil vom 13._Februar 2002 ? 5_AZR_713/00
Problempunkt
AT-Angestellte fallen nicht in den persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages. Dadurch unterscheiden sie sich von Angestellten, die zwar übertariflich bezahlt werden, aber gleichwohl in den persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen. Eine Erhöhung der tariflichen Vergütung wirkt sich deshalb auf die Arbeitsbedingungen von außertariflichen Angestellten grundsätzlich nicht unmittelbar aus. Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet den Arbeitgeber nicht, die Gehälter des AT-Angestellten in gleichem Umfang wie die Tarifgehälter zu erhöhen. In der Praxis wird die Tarifgehaltserhöhung aber gleichwohl häufig zum Anlass genommen, auch die Gehälter der AT-Angestellten anzupassen. Dabei stellt sich für beide Seiten die Frage, ob der Arbeitgeber aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes die Gehälter aller AT-Angestellten im gleichen Maße anheben muss.
Als Folge eines Betriebsübergangs war das Arbeitsverhältnis des klagenden AT-Angestellten zusammen mit weit über 100 anderen außertariflich bezahlten Arbeitnehmern gemäß §_613a BGB auf die neue Arbeitgeberin übergegangen. Das allgemeine Gehaltsniveau der AT-Angestellten war bei der alten Arbeitgeberin wesentlich höher als bei der neuen. Nach dem Betriebsübergang stellte die neue Arbeitgeberin des Klägers vier weitere AT-Angestellte ein. Die dabei vereinbarten Gehälter entsprachen dem bei der neuen Arbeitgeberin üblichen niedrigeren Niveau. Als durch den einschlägigen Gehaltstarifvertrag die tariflichen Gelder um 3,2_% erhöht wurden, hob die neue Arbeitgeberin des Klägers die Gehälter der vier zwischenzeitlich neu angestellten AT-Angestellten in diesem Umfang an, während sie die Gehälter des Klägers und der mit ihm übergegangenen AT-Angestellten unverändert ließ. Der Kläger machte geltend, die Arbeitgeberin hätte auch sein Gehalt erhöhen müssen und verlangte die Nachzahlung der Differenz. Dabei berief er sich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz.
Entscheidung
Der wechselhafte Prozessverlauf ist symptomatisch für die Schwierigkeiten, die mit der praktischen Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verbunden sind. Die Klage war in der ersten Instanz erfolgreich. Das Landesarbeitsgericht wies die Klage ab. Die von dem LAG zugelassene Revision des Klägers zum Bundesarbeitsgericht war erfolglos.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG verbietet der Gleichheitsgrundsatz nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung. Mit seiner Entscheidung hat das Gericht unterstrichen, dass die Kontrolle unterschiedlicher Regelungen anhand des Gleichbehandlungsgrundsatzes nur dann zum Zug kommt, wenn der Arbeitgeber durch seine Entscheidung eine Gruppe begünstigter Arbeitnehmer gebildet hat. Allein die Begünstigung einzelner Mitarbeiter erlaubt noch nicht den Schluss, diese bildeten eine Gruppe.
In der betrieblichen Praxis besteht große Unsicherheit, wann eine Gruppe anzunehmen ist. Insoweit hat die Entscheidung eine wichtige Orientierungsmarke aufgestellt. Die Begünstigung von weniger als fünf Prozent der außertariflich angestellten Arbeitnehmer ließ nach Auffassung des BAG nicht den Schluss zu, die Arbeitgeberin habe eine entsprechende Gruppe von Arbeitnehmern gebildet. Das Gericht unterteilte weiter, dass die von der Arbeitgeberin vorgenommene Differenzierung aufgrund der unterschiedlichen Gehaltniveaus bei den übernommenen und den anderen AT-Angestellten außerdem sachlich gerechtfertigt gewesen sei.
Konsequenzen
Für Arbeitgeber und -nehmer ist wichtig, welche Konsequenzen ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz hat. Hier hat die Entscheidung eine bedeutende Klarstellung gebracht. Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet nämlich nach diesem Urteil einen Arbeitgeber, der durch ein sachlich nicht gerechtfertigtes Merkmal eine außerordentlich kleine Gruppe der Belegschaft besser gestellt hat, nicht, diesen Vorteil allen Beschäftigten einzuräumen. Den Anspruch auf eine Gleichbehandlung mit den begünstigten Arbeitnehmern kann grundsätzlich nur der benachteiligte einzelne Arbeitnehmer oder die benachteiligte kleine Gruppe geltend machen.
Diese Beschränkung gilt aber nicht, wenn gegen besondere verfassungsrechtliche oder EU-rechtliche Differenzierungsverbote verstoßen wird. Schulbeispiel dafür ist die Benachteiligung wegen des Geschlechts. In diesen Fällen hat die benachteiligte Gruppe, auch wenn sie zahlenmäßig groß ist oder sogar die Mehrheit der Belegschaft darstellt, einen Anspruch auf die der begünstigten Gruppe zugebilligten höheren Leistungen.
PRAXISTIPP
Es ist zu erwarten, dass die vom Bundesarbeitsgericht angedeutete 5%-Grenze für die Bildung einer Gruppe zukünftig große praktische Bedeutung haben wird. Ein Arbeitgeber, der sich darauf berufen will, dass die Besserstellung einzelner Arbeitnehmer auf individuellen Entscheidungen beruhe und den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletze, sollte diese Grenze im Auge behalten. Größte Vorsicht ist dagegen weiterhin bei Verstößen gegen spezielle Diskriminierungsverbote angeraten. Im Zuge der Umsetzung von EU-Recht werden zu dem zwischenzeitlich weitgehend verinnerlichten Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechtes weitere hinzukommen, zum Beispiel im Hinblick auf die sexuelle Neigung.
Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Hans-Eduard Hille, Köln
Quelle: www.arbeit-und-arbeitsrecht.de