Eine Fleischerei in Costa Rica - Thüringer wandern aus
12.02.2001
Apolda/Gera - Ihr Haus im Apoldaer Vorort Oberroßla haben
Dagmar und Peter Kuhnt schon verkauft. Jetzt bereiten die 44- jährige
Erzieherin und ihr zwei Jahre jüngerer Mann den Umzug ins neue Heim
vor. Nichts Ungewöhnliches an sich - nur dass das neue Häuschen nicht
in Thüringen oder sonst wo in Deutschland steht, sondern in
Mittelamerika, genauer: in Costa Rica. Die Kuhnts wollen auswandern.
Noch in diesem Jahr, das steht für sie fest.
Obwohl den Thüringern eigentlich Bodenständigkeit nachgesagt wird,
spielen gar nicht so wenige mit dem Gedanken, Deutschland auf immer
den Rücken zu kehren. Knapp 1000 Frauen und Männer haben im
vergangenen Jahr in der Geraer Beratungsstelle für
Auswanderungswillige Rat und praktische Tipps gewollt. Das Thüringer
Landesamt für Statistik hat allein für 1999 exakt 788 Fortzüge über
die Grenzen Deutschlands registriert. Tendenz steigend: 1998 waren es
noch 38 weniger. Die Auswanderer strebten überwiegend in die EU-
Staaten. Beliebtestes Ziel in Übersee sind vor allem die USA.
Oftmals ist es die berufliche Situation, die die weite Welt
außerhalb Thüringens zum verlockenden Ziel macht, weiß Helga Moschner
aus jahrelangen Gesprächen in der vom Deutschen Roten Kreuz (DRK)
betriebenen Beratungsstelle. Sie ist neben einem Ableger in Erfurt
die einzige derartige Adresse in Thüringen.
«Arbeitslosigkeit oder bessere Jobchancen im Ausland sind häufig
Anlass, an Auswanderung zu denken», berichtet Moschner. Dazu kämen
familiäre Gründe, wenn zum Beispiel Ehepartner zu ihren Familien ins
Ausland ziehen. Mitunter suchten Auswanderungswillige aber auch aus
gesundheitlichen Erwägungen heraus ein anderes Land mit einem
angenehmerem Klima als in hiesigen Breiten.
Wer in die Beratungsstelle kommt, hat zumeist schon sehr konkrete
Vorstellungen davon, was mit einer Auswanderung verbunden ist.
Trotzdem gilt es, allerhand zu klären. «Die meisten wollen auch nach
dem Verlassen Deutschlands sozial abgesichert sein», sagt Moschner.
Viele Fragen drehten sich daher um Rentenansprüche oder
Krankenversicherung.
Wohl auch wegen des Lebensstandards bevorzugten die meisten
Auswanderer die EU-Länder, hat die Beraterin festgestellt. Mitunter
sei auch Naivität im Spiel. Moschner erinnert sich an einen Mann, der
seinen angehäuften Schulden in Deutschland zu entfliehen gedachte.
«Am Ende hat er sie dann vor der Ausreise bezahlt.»
Nicht zuletzt die bürokratischen Hürden, die vor einer
Auswanderung genommen werden müssen, bespricht Moschner mit ihren
Klienten. Eine Reihe von Ämtergängen sei nötig. Beispielsweise gehe
ohne polizeiliches Führungszeugnis nichts; oftmals müsse beim Antrag
auf das Visum eine Arbeitsgenehmigung nachgewiesen werden, und in den
USA werde ein Gesundheitszeugnis verlangt, Aids-Test inklusive.
Manche Länder bestünden auch auf einer finanziellen Absicherung
ihrer Neubürger. Informationen vorab seien daher immens wichtig,
ebenso Sprachkenntnisse. «Man sollte sich in der neuen Heimat schon
verständlich machen können», empfiehlt die Beraterin.
Die Kuhnts aus Oberroßla haben die ersten Spanisch-Vokabeln schon
gelernt. Sie zieht es in erster Linie wegen der unbefriedigenden
beruflichen Situation aus Deutschland weg. «Jahrelang weite Strecken
gependelt, das hat mir nicht mehr gefallen», sagt Peter Kuhnt. Jetzt
will es der gelernte Maschineneinrichter noch einmal wissen und sich
in Costa Rica eine neue Existenz aufbauen. Eine, die man getrost als
Reminiszenz an die alte Heimat betrachten kann: eine Fleischerei für
Thüringer Wurst.