Ha, ertappt! Statt den morgen fälligen Artikel „Prokrastination überwinden“ zu verfassen, hast du dir erst mal einen leckeren Milchkaffee gekocht, dann die Blumen gegossen und, weil du sowieso schon unterwegs warst, auch noch die Wäsche aufgehängt und den Müll rausgebracht. Plötzlich war der für die eigentliche Arbeit eingeplante Nachmittag schon wieder vorbei. Jetzt tickt die Uhr und der Job muss doppelt so flott erledigt werden. Doch wie schafft man es, das ständige Aufschieben von Aufgaben zu überwinden?

Ach ja, wir alle kennen doch dieses Phänomen, oder? Und manche scheinen diese Art von Zeitdruck ja nahezu herauszufordern. „Aufschieberitis“, „Trödeln“ oder „Rumbummelei“ nennt es der Volksmund. Trendiger und professioneller klingt da schon „Prokrastination“. Der lateinisch stämmige Begriff (procrastinatio – Vertagung) steht für ein Verhalten, das das chronische Aufschieben von bestimmten Aufgaben und Dingen bewirkt.

Du sollst für das Studium lernen und gehst erst mal eine Runde joggen. Oder aber du musst eine wichtige Präsentation für euren Premiumkunden vorbereiten und machst zunächst Belegablage. Vielleicht hättest du auch eigentlich einen Text zu übersetzen, verspürst aber das dringende Bedürfnis, jetzt die Teeküche im Büro aufzuräumen. In meiner Studenten-WG hieß es immer, wenn man mich mal wieder staubsaugend antraf: „Na, musst du ein Englisch-Essay schreiben?“ So war es meist auch. Andere Dinge hatten Vorrang, die eigentliche Aufgabe wurde auf die lange Bank geschoben.

„Prokrastinierer der Welt vereinigt euch – morgen …“

Junge Frau bügelt im Homeoffice Wäsche - Prokrastination
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Fördert Digitalisierung Prokrastination?

Aufgaben vertagen, das ist natürlich kein neues Phänomen. Doch in letzter Zeit hat dieses Verhalten regelrechten Trendstatus und eine hohe Aufmerksamkeit erreicht – dadurch forciert, dass Menschen immer häufiger am PC arbeiten und damit ständig online sind, im Arbeitsleben wie auch im Privaten. Denn gerade das Internet und die sozialen Medien bieten unendlich viele Ablenkungsmöglichkeiten. Wenige Klicks sind erforderlich, um sich „nur mal kurz“ ein YouTube-Video anzuschauen, sein LinkedIn-Profil zu checken oder durch Instagram und TikTok zu scrollen – um dann festzustellen, dass man schon wieder eine Stunde wertvolle Arbeitszeit verdaddelt hat. Besonders betroffen sind Selbstständige, Freiberufler, Studierende und zunehmend auch Arbeitnehmerinnen und -nehmer im Homeoffice, die selbstbestimmt arbeiten und deren Arbeitsalltag keine festen Strukturen haben muss. Sie neigen eher dazu, ihren Tag „etwas flexibler“ zu gestalten.

Digitalisierung und Homeoffice haben das Phänomen der Aufschieberitis quasi noch potenziert. Viele Menschen erkennen sich in solchen Vermeidungsstrategien wieder – und nehmen sie humorvoll. Entsprechend populär sind die zahlreichen Sprüche und Memes zum Thema „Prokrastinieren“ im Netz. Wir zeigen so letztlich auch Selbstironie, wenn wir diese Memes mit unseren Freunden gleich wieder online teilen: „Ich weiß, dass ich aufschiebe, aber: Schau doch mal hier …“ 

„Ich bin nicht faul, ich bin im Energiesparmodus.“

Warum prokrastinieren Menschen so gern?

Keine Sorge, mit dem Prokrastinieren bei der Arbeit bist du nicht allein, denn jeder ist hin und wieder versucht, etwas aufzuschieben. Die moderne Arbeitswelt, geprägt von Multitasking und ständiger Erreichbarkeit, kann manchmal auch echt überfordernd sein. Prokrastination dient dann als eine Art Ventil, als Verteidigungsmechanismus gegen aufkommenden Stress.

Wenn man sich in einer Situation oder mit einer Aufgabe überfordert fühlt, bietet dieses Aufschieben eine kurzfristige Lösung, zumal man sich dann entweder mit gar nichts oder mit etwas beschäftigt, das kaum Hirnschmalz erfordert und bestenfalls auch noch unterhaltsam ist.

„Ich arbeite am besten unter Druck, deshalb schiebe ich alles auf die letzte Minute.“

Symbolbild Prokrastination Sanduhr auf Kalender
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Ab wann wird Prokrastinieren zum Problem?

Gefährlich wird es, wenn das Prokrastinieren kein gelegentliches Alltagsphänomen mehr ist, sondern zu einem Dauerzustand wird. Dann gelingt das Fokussieren auf anstehende Aufgaben im Arbeitsalltag immer schwieriger. Die Vermeidungsstrategien werden immer ausgefeilter – bis hin zur totalen Ignoranz von Terminen und Verbindlichkeiten. Mit Faulheit oder momentaner Willensschwäche hat das nur wenig zu tun. Oft ist unterschwellige Angst ein Grund dafür, dass du etwas aufschieben oder dich von etwas ablenken möchtest: Angst vor dem Scheitern, vor Druck oder Kritik bzw. auch ein übersteigerter Hang zum Perfektionismus.

Prokrastination als Begleiterscheinung

Extreme Prokrastination kann ein Symptom oder eine Begleiterscheinung anderer psychischer Störungen sein – zum Beispiel einer Angststörung, einer depressiven Störung oder einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Doch bedenke, wenn du gelegentlich zum Aufschieben neigst, leidest du noch lange nicht an solch einer Störung. Es ist ein weit verbreitetes Verhalten, das viele Menschen jeden Geschlechts in jedem Alter und in unterschiedlichsten Lebenssituationen zeigen.

Gründe für das ständige Vertagen von Aufgaben

Ein Grund für die Aufschieberitis steckt auch tief in unserer Psyche: Das Belohnungssystem ist ein Netzwerk von Strukturen in unserem Gehirn, das positive Gefühle als Reaktion auf bestimmte Reize oder Handlungen erzeugt. Dies motiviert uns beispielsweise, solche Handlungen zu wiederholen. Das Belohnungssystem spielt eine zentrale Rolle bei der Motivation, beim Lustempfinden und auch beim Suchtverhalten. Indem wir prokrastinieren, vermeiden wir Unangenehmes, Stichwort „innerer Schweinehund“, und damit einhergehende Angstgefühle. Wir belohnen uns lieber kurzfristig mit einer angenehmeren oder einfacheren Alternative.

Kein anerkanntes Krankheitsbild

Die psychologischen Aspekte des Prokrastinierens und mögliche Behandlungsansätze werden erst seit einiger Zeit erforscht. Ähnlich wie das Burnout-Syndrom ist es noch kein offizieller Bestandteil des Diagnosesystems ICD-10/11 der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Westfälische Wilhelms-Universität Münster hat als Präventionsmaßnahme eine Prokrastinationsambulanz als Teil ihrer Psychotherapie-Ambulanz eingerichtet. Auslöser war die Wahrnehmung, dass Studierende zunehmend Probleme damit haben, sich auf ihre Arbeit zu fokussieren. Auf der Webseite der Ambulanz können sie nun einen ersten Online-Selbsttest machen, um herauszufinden, wo sie hier stehen, und sich bei Bedarf professionell beraten lassen.

„Was Du heute kannst besorgen, verschiebe ruhig auf übermorgen!“

Gelangweilter Mann vor Laptop prokrastiniert und stapelt Buntstifte
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Welche Folgen kann ständiges Aufschieben haben?

Achte darauf, wann genau und wie oft am Tag oder in der Woche du tatsächlich prokrastinierst. Beachte dabei auch, ob du schon immer ein Typ warst, der etwas Zeitdruck braucht, um „zu funktionieren“. Manche kommen durchaus gut damit zurecht, wenn sich der Druck erhöht. Bei Anzeichen einer möglichen Verfestigung dieses aufschiebenden Verhaltens solltest du aktiv werden. Denn wenn du sehr häufig prokrastinierst und unzufrieden damit bist, kann das zu vielerlei Problemen führen, mit negativen Konsequenzen im beruflichen und im privaten Umfeld:

  • Stress: Das ständige Wissen, dass unerledigte Aufgaben anstehen, kann dein Stresslevel massiv erhöhen. Je näher ein Termin rückt, desto mehr wächst die Sorge, nicht mehr rechtzeitig fertig zu werden.
  • Gesundheitliche Probleme: Dieser Stress kann auf Dauer Schlafprobleme, Kopfschmerzen, Magenbeschwerden und gesundheitliche Probleme wie eine Depression oder sogar eine Angststörung auslösen.
  • Selbstzweifel: Prokrastination kann dein Selbstwertgefühl herabsetzen. Das ständige Aufschieben kann zur Folge haben, dass du an deiner Kompetenz zweifelst und dich als „gescheitert“ wahrnimmst.
  • Weniger Produktivität: Wer ständig Dinge aufschiebt, schafft weniger in derselben Zeit. Das führt dazu, dass du Überstunden machen musst und auch in der Freizeit kaum noch abschalten kannst, aus Angst vor Deadlines und vor dem Feedback von Vorgesetzten.
  • Versäumte Chancen: Ob im Job, in Studium und Schule oder in der Ausbildung – ständiges Aufschieben kann dazu führen, dass du wichtige Fristen oder Gelegenheiten verpasst, die deine Karriere voranbringen könnten. Du erreichst deine Ziele nicht.
  • Finanzielle Probleme: Rechnungen, wichtige Bescheide oder Steuererklärungen können unerledigt liegen bleiben, wofür du dann Mahngebühren oder Strafen bezahlen musst.
  • Gestörtes Zeitmanagement: Prokrastination verhindert, dass du ein effektives Zeitmanagement entwickelst, das du im Berufsleben einfach brauchst. Stattdessen verlierst du dein Gespür für Prioritäten und glaubst, mit allem nur noch im Rückstand zu sein.
  • Soziale Isolation: Eventuell beginnst du damit, soziale Kontakte eher zu meiden, um unangenehmen Fragen zu deinem Job aus dem Weg zu gehen. Andere könnten dich als abwesend, unzuverlässig oder faul wahrnehmen. Das kann deine beruflichen und persönlichen Beziehungen auf Dauer belasten.

„Was Du heute kannst verschieben, lass auch morgen einfach liegen!“

Junge Frau am Arbeitsplatz prokrastiniert und schießt Papierflieger
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Zehn Tipps und Tricks gegen das Prokrastinieren

Das waren jetzt etliche und sehr schwarz-weiß gezeichneten Folgen, die mit einem übermäßigen Prokrastinieren einhergehen können. Überlegen wir lieber, was du tun kannst, um gar nicht erst in solche Situationen zu kommen. Hier einige Tipps und Ansätze für deinen Arbeitsalltag. Sie haben sehr viel mit einem guten Zeit- und Ressourcenmanagement und einer ausgewogenen Work-Life-Balance zu tun:

  1. Aufgaben aufteilen und Ziel visualisieren:
    Zerlege große Aufgaben in überschaubare, kleine Schritte. Plane Zeitpuffer ein. Fang einfach an, auch wenn es noch nicht perfekt wirkt. Stell dir vor, wie es sich anfühlt, wenn eine erste oder alle Teilaufgaben dann erledigt sind. Die gute, alte To-Do-Liste hat sich hier bewährt.
  2. Prioritäten setzen:
    Bestimme, welche Aufgaben am dringendsten sind und erledige sie zuerst. Wenn du dich mit Zeitmanagement beschäftigst, kannst du verschiedene Methoden dafür kennenlernen. Eine der bekanntesten ist die Eisenhower-Matrix, nach der Aufgaben in die Prios „dringend und wichtig“, „wichtig, aber nicht dringend“, „nicht wichtig, aber dringend“ und „weder noch, deshalb vernachlässigbar“ aufgeteilt werden. So lernst du, zwischen wichtigen Dingen und weniger wichtigen Aufgaben zu unterscheiden.
  3. Deadlines setzen:
    Selbst wenn keine Termine gesetzt sind, hilft es dir, wenn du dir selbst Fristen zuweist. Hilfreich beim Zeitaspekt ist die Pomodoro-Technik. Du arbeitest 25 Minuten fokussiert, machst dann fünf Minuten Pause und arbeitest wieder 25 Minuten, dann fünf Minuten Pause, und so weiter. Ein Timer hilft beim Ablauf.
  4. Routinen schaffen: Feste Zeiten für regelmäßige Aufgaben helfen dir, in den Flow zu kommen, feste Abläufe zum Einstimmen ebenso. Vielleicht gehört ja dazu, dass du erst mal deinen Schreibtisch aufräumst, durchlüftest, einen Kaffee machst, Stifte anspitzt oder eine erste grobe Gliederung für ein Projekt erstellst.
  5. Ablenkungen minimieren:
    Du kannst dein Smartphone abschalten, Benachrichtigungen ausstellen, die Bürotür schließen und einen aufgeräumten Arbeitsplatz schaffen. Manche Lösungen für Bürosoftware sind inzwischen mit einem Feature ausgestattet, das alles Ablenkende auf dem Bildschirm ausblendet.
  6. Pausen machen:
    Plane immer wieder kurze Erholungsphasen ein, um deinen Kopf freizubekommen und etwas Wasser zu trinken. Mit regelmäßigen Pausenzeiten vermeidest du Kopfschmerzen, stärkst die Konzentration und bekommst neue Energie.
  7. Verbindlichkeit schaffen:
    Teile deine Ziele vielleicht auch einer Kollegin oder einem Kollegen mit, die bei dir nachhaken und dich neu motivieren können.
  8. Rückschau halten:
    Halte am Ende deines Arbeitstages fest, was du geschafft hast, um dich zu motivieren.
  9. Vermeidungsmuster erkennen:
    Bist du tatsächlich müde oder einfach nur unwillig und unmotiviert? Ist LinkedIn gerade wirklich wichtig? Musst du das Telefonat jetzt führen? Sei ehrlich zu dir selbst und erkenne die Muster und Ausreden, die dich von der Arbeit abhalten.
  10. Nein sagen lernen:
    Überschätze dich nicht. Teile das auch deinem Umfeld mit, wenn etwas zu viel für dich wird. Dazu gehört auch, nicht jede zusätzliche Aufgabe anzunehmen, wenn das Arbeitspensum bereits umfangreich genug ist. Du musst dir also realistische Ziele setzen.

Diese Tipps und Tricks können dir wirklich im Alltag helfen. Auch konstruktiver Support von deinen Kollegen kann sicher dazu beitragen, dass du deine Aufgaben wieder mit mehr Schwung und mehr Begeisterung erfüllen kannst. Gönne dir auch nach erfolgreich erledigten Aufgaben mal eine kleine Belohnung. Du weißt ja, dein Belohnungssystem im Gehirn weiß dies zu schätzen. Ansonsten gilt vielleicht für dich, einmal grundsätzlich herauszufinden, warum dir die Arbeit gerade so wenig Spaß macht oder warum du immer wieder in die gleichen Muster zurückfällst …

„Es ist nicht Prokrastination, wenn du es ‚während der Arbeit‘ machst.“

Fazit

Mit den richtigen Strategien und etwas Unterstützung von außen kannst du dem ewigen Aufschieben proaktiv ein Ende setzen. Denn ungünstiges Verhalten kann man auch wieder „entlernen“ und es dadurch überwinden. Prokrastination ist heute ein durchaus weit verbreitetes Problem. Wenn du dir jedoch vor Augen führst, warum du es tust und was du stattdessen vermeiden möchtest, kannst du aktiv dagegensteuern. Das ist wichtig, denn dauerhaft kann das Vertagen des großen Ganzen zu negativen Gefühlen und echten Karriereproblemen führen.


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