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Betriebsratsanhörung bei verabredeter Kündigung

03.04.2006

§ 102 Abs. 1 BetrVG

Kommen Arbeitgeber und Arbeitnehmer mündlich überein, dass zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses eine Kündigung seitens des Arbeitgebers ausgesprochen und ein Abwicklungsvertrag geschlossen werden soll, ist die Kündigung kein Scheingeschäft. Der Betriebsrat ist zu ihr nach § 102 BetrVG anzuhören.

BAG, Beschluss vom 28. Juni 2005 ? 1 ABR 25/04

Problempunkt
Die Arbeitgeberin, ein Unternehmen des Lebensmittel-Einzelhandels, versucht seit einigen Jahren, prozessuale Auseinandersetzungen durch Absprachen im Vorfeld von Kündigungen zu vermeiden. Dazu wird mit den betroffenen Mitarbeitern in einem Personalgespräch zunächst Einvernehmen über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erzielt. Sodann werden die Bedingungen hierfür zwischen den Parteien abgesprochen. Teils wird im Rahmen dieses Gesprächs eine ?Abwicklungsvereinbarung? unterzeichnet und unmittelbar anschließend ein vorgefertigtes Kündigungsschreiben ausgehändigt, teils erfolgt die Übergabe des Kündigungsschreibens erst Tage später. Ebenso kommt es vor, dass nach dem Gespräch zunächst eine Kündigung ausgesprochen und erst später die ?Abwicklungsvereinbarungen? geschlossen werden. Diese enthalten selbst keine Regelung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern verweisen lediglich auf die ausgesprochene Kündigung. Eine Betriebsratsanhörung findet nicht statt.

Gegen diese Praxis klagt der Betriebsrat. Er ist der Ansicht, dass er in diesen Fällen nach § 102 BetrVG anzuhören sei, da das Unternehmen die Arbeitsverhältnisse trotz Einvernehmen der Beteiligten durch eine Kündigung beende.

Entscheidung
Das LAG Niedersachsen hatte in der Vorinstanz ein Beteiligungsrecht des Betriebsrats abgelehnt. In dem Vorgehen sei eine Vertragsbeendigung aufgrund Vereinbarung zu sehen, die durch die Abgabe einer Kündigung nach außen lediglich verschleiert werde. Die Kündigungen seien ein nichtiges Scheingeschäft nach § 117 BGB. Die Arbeitsverhältnisse würden durch die Abwicklungsvereinbarungen beendet, die als Aufhebungsvertrag zu klassifizieren seien. Entsprechend bestehe auch kein Anhörungsrecht nach § 102 BetrVG.
Demgegenüber gab der Erste Senat des BAG der Klage des Betriebsrats statt. Nach seiner Auffassung kann nicht von einem Scheingeschäft gesprochen werden, da die Arbeitsverhältnisse nur durch eine Kündigung beendet werden konnten. Das im Vorfeld der Kündigungen und der Abwicklungsvereinbarungen getroffene Einvernehmen hat noch nicht die Aufhebung der Arbeitsverträge bewirkt. Vielmehr handelt es bei diesen Absprachen um ein rechtlich unverbindliches faktisches Einvernehmen über die künftige Vorgehensweise, allenfalls um Vorverträge über künftig abzuschließende Abwicklungsvereinbarungen. Selbst wenn man jedoch das Einvernehmen als Vereinbarung ansehen würde, würde die Wirksamkeit zumindest am Schriftformerfordernis nach § 623 BGB scheitern. Auch durch die vor oder nach Kündigung unterzeichneten Abwicklungsvereinbarungen sind die Arbeitsverhältnisse nicht beendet worden. Insofern verweisen die Erfurter Richter darauf, dass diese Abreden lediglich auf eine Kündigung Bezug nehmen. Ein auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichteter Wille der Vertragsparteien ist darin nicht zu sehen.

Konsequenzen
Abwicklungsverträge waren in den vergangenen Jahren insbesondere hinsichtlich der Sperrzeit beim Arbeitslosengeld nach § 144 SGB III Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzung. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 18.12.2003 ? B 11 AL 35/03 R) ist eine Sperrzeit beim Abschluss eines Abwicklungsvertrags nur dann ausgeschlossen, wenn die Kündigung objektiv rechtmäßig ist. Diese Grundsätze sollen auch bei sog. unechten Abwicklungsverträgen gelten. Bei diesen einigen sich die Parteien wie im vorliegenden Fall schon vor Ausspruch der Kündigung über die Modalitäten der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Nun gelangt auch die betriebsverfassungsrechtliche Problematik unechter Abwicklungsvereinbarungen ins Blickfeld. Dabei drängt sich zwar zunächst die Frage auf, ob eine Betriebsratsanhörung nicht bloßer Formalismus ist, wenn sich beide Seiten bereits geeinigt haben. Gleichwohl ist dem BAG im Ergebnis und in der Begründung zuzustimmen. Die vorangehenden mündlichen Abreden können ein Arbeitsverhältnis schon im Hinblick auf das Schriftformerfordernis nicht beenden. Der Abwicklungsvertrag selbst enthält keine übereinstimmenden Erklärungen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern setzt dessen Beendigung voraus. Würde man die Kündigungserklärung als Scheingeschäft klassifizieren, käme man zu dem Ergebnis, dass das Arbeitsverhältnis überhaupt nicht beendet wurde. Das BAG geht daher zu Recht davon aus, dass ein Scheingeschäft schon deshalb nicht anzunehmen ist, weil das Arbeitsverhältnis nur durch eine wirksame Kündigung beendet werden kann. Damit ist zugleich die Feststellung getroffen, dass der Betriebsrat anzuhören ist. Der Wortlaut des § 102 Abs. 1 BetrVG ist insofern eindeutig. Danach ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung und damit auch dann anzuhören, wenn die Parteien zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses einvernehmlich den Weg mittels Arbeitgeberkündigung und anschließendem Abwicklungsvertrag wählen.

Praxistipp
Der Beschluss des BAG stellt klar, dass auch die einvernehmliche Trennung mittels verabredeter Kündigung und Abwicklungsvertrag unter dem Diktat der Betriebsratsbeteiligung steht. Für die Praxis bleibt damit eigentlich nur die Entscheidung, ob man in solchen Fällen das aufwendige Anhörungsverfahren vor oder nach dem Gespräch mit dem betroffenen Mitarbeiter durchführt. Dies wird vom Einzelfall abhängen und zumeist lediglich zu einer verzögerten Umsetzung der Maßnahme führen.
In Fällen, in denen sich der Arbeitgeber möglichst zeitnah von dem Mitarbeiter trennen will oder eine Beeinflussung durch den Betriebsrat fürchtet, wird er jedoch geneigt sein, die Beteiligungsrechte zu ignorieren. Denn die Verletzung der betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten führt in diesen Fällen nicht dazu, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Frage steht. Zwar bedingt die Missachtung des Beteiligungsrechts nach § 102 BetrVG die Unwirksamkeit der Kündigung. Verpflichtet sich der Arbeitnehmer jedoch in einem Abwicklungsvertrag, nicht gegen die (an sich unwirksame) Kündigung vorzugehen, wird das Arbeitsverhältnis abredegemäß beendet. Ob ein solcher Rechtsbruch sinnvoll ist, erscheint jedoch schon im Hinblick auf die notwendige vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zweifelhaft. Wer bewusst die Rechte des Anderen ignoriert, kann dessen Vertrauen sicherlich nicht erwarten.

Prof. Dr. Arnd Diringer,
Stuttgart


Quelle: www.arbeit-und-arbeitsrecht.de

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